Finanztagebuch

Staatskrise Schuldendeckel

By 13. Oktober 2013 Juli 31st, 2023 No Comments

Teil 1: was ist das Problem?

Die doppelte politische Lähmung in den USA – Budget und „Debt Ceiling“ – ist komplex. Während die Unfähigkeit, bis zum 1.10. ein Budget zu verabschieden und die daraus folgenden erzwungenen Sparmaßnahmen noch einigermaßen klar sind, sind die Daten zur Schuldenobergrenze und die Folgen ihrer Erreichung verworren.

Ein paar Klärungen:

  • Aktuell (9.10.2013) betragen die Staatsschulden 16,747 Billionen (englisch: trillions) USD; die Schuldendecke seit Mai 2013 ist 16,7 Billionen; die Diskrepanz entsteht, weil die Finanzverwaltung bereits das ganze Jahr mit „unkonventionellen“ Umschichtungen ihre Liquidität verbessert; das zeigt aber schon anschaulich, wie irreführend konkrete Zahlenangaben in dieser Angelegenheit sind.
  • Das Datum 17.10.: laut einer Aussendung vom August erwartet das Finanzministerium, dass spätestens an diesem Tag keine Liquidität für laufende Zahlungen gewährleistet ist. Tatsächlich ist das aber nur eine Schätzung eines sehr komplexen Zahlungsflusses; da der „government shut down“ Zahlungen verschiebt, verschiebt sich auch der Schuldendeckentag. Ich ewarte, dass der Tag, an dem die USA das Geld ausgeht, eher nach dem 17. sein wird. (Wichtige Anleihen-Zahlungstermine: 17.10: 120 Mrd, 24.10: 93 Mrd, 30.10.: 150 Mrd. Siehe).
  • Was heißt Zahlungsunfähigkeit? Es geht um gesetzlich vorgeschriebene Zahlungen, also nicht Ausgaben, die willentlich in einem Budget beschlossen werden. Das sind sowohl „innere“ Verpflichtungen wie etwa Pensionszahlungen als auch „äußere“, also Zinsen bzw. Tilgungen von Staatsanleihen. Letzere sind vermutlich die kritischeren, was die Folgen anlangt.
  • Technische Folgen der Zahlungsunfähigkeit: wenn ein Staat Zahlungen auf seine Schulden nicht leistet, gilt er technisch als zahlungsunfähig; das hat weitreichende Folgen auf seine Bonität; die meisten der großen institutionellen Investoren dürfen nur in Anleihen bester Bonität investieren. D.h. die Konsequenzen beträfen nicht nur Anleihen, die im Oktober nicht zurückgezahlt werden können; technisch gesehen wäre die Mehrzahl der Investoren gezwungen, nicht mehr in US-Anleihen zu investieren und ihre Bestände abzustoßen. Das hätte einen Kursabsturz zur Folge, den viele dieser Fonds, Kassen, Versicherungen nicht ertragen könnten, d.h. sie wären selbst zahlungsunfähig. Weiters dienen die Staatsanleihen aufgrund ihres Status‘ als „absolut sicher“ in unzähligen Geschäften als Sicherheit und spielen somit eine grundlegende Funktion in den Finanzmärkten. Wenn sie diesen Status verlören, bräche Chaos aus. Angesichts des gigantischen Volumens dieser Papiere und ihrer Funktion als höchste Sicherheit, sind die Folgen tatsächlich und wörtlich unvorstellbar, d.h. niemand weiß, was dann passieren würde. Die entscheidende Frage ist, ob eine rechtliche „Zahlungsunfähigkeit“ festgestellt wird. Wenn ja, dann gibt es Chaos, wenn nein, dann passiert wenig. (einen Überblick über mögliche Auswirkungen bietet ein kurzer Artikel bei Bloomberg)
  • Glaubwürdigkeitsverlust: auch wenn diese technische Zahlungsunfähigkeit nicht eintritt – bzw. die Finanzmärkte entscheiden, sie nicht als solche zu bezeichnen – wird befürchtet, dass das Vertrauen in die USA als Schuldner (und damit auch in den Dollar) stark beschädigt wird und dies zu allgemeiner Verunsicherung, vor allem aber zu einer nachhaltigen Verteuerung der Kreditaufnahme der USA führen wird.. Aber wie übersetzt sich „Vertrauen“ in „Kosten“? Das Problem ist, dass Vertrauen erstens schwer erklärbar und zweitens fundamental für das Finanzsystem ist. Die Anleihen der USA sind eine gewissermaßen mythologische Verankerung des globalen Finanzsystems; das ist der Punkt, an dem Vorhersagen schwierig werden: bricht das Vertrauen nicht, passiert wenig; bricht das Vertrauen, ist die Reaktion unverhältnismäßig heftig und geht weit über den Anlassfall hinaus.
  • Andere Möglichkeiten: inzwischen hält die Fed (US-Zentralbank) rd. 15% der Staatsanleihen (siehe). Die Zinsen, die sie dafür einnimmt, liefert sie wieder dem Staat ab; wenn der Staat eine Anleihe tilgt, löscht die Fed den Kredit und eine Buchungszeile verschwindet. Die Fed könnte ebenso ihren gesamten Anleihenbestand einfach löschen; der Staat wäre auf einen Streich Schulden los, ohne dass irgendwer Geld verloren hätte. Unvorstellbar? Wie so vieles der vergangenen Jahre! Eine solche Lösung würde in das Muster der letzten 3 Jahre passen: die Politik verheddert sich in Diskussionsschleifen (wie den EU-Schuldenproblemen), die Notenbank rettet das „Vertrauen der Märkte“ mit bis dahin „undenkbaren“ Maßnahmen.

Es fällt schwer, nicht daran zu glauben, dass es wieder einmal eine Einigung in letzter Minute geben wird. Und das ist die Haltung der meisten Kommentatoren; entsprechend gering sind bislang die Ausschläge an den Finanzmärkten. Angesichts der möglichen Folgen und der Erbittertheit der Kontroverse erstaunt mich die Gelassenheit. (Eine besorgte Stimme: Ezra Klein warnt vor einem „Platzen der Politik-Blase“). Zwar denke ich, dass auch diesmal die Welt nicht untergehen wird, aber in dieser Art der Krisenpolitik liegt eine andere, wichtigere Geschichte. Das Entlanghanteln von einer Deadline zur nächsten überdeckt dauerhafte Probleme und Veränderungen. Es geht mir nicht darum, die Gewichtigkeit dieser aktuellen Deadline zu verharmlosen, sondern aufzuzeigen, dass die Dramaturgie der Deadlines selbst ein Problem ist. …

Teil2: Geschichten hinter dem Actiondrama

Die Verankerung des Geldsystems in Vertrauen

Die Dramaturgie der Darstellung – eine Serie von „Showdowns“, von zu höchster Spannung angetriebenen Action-Höhepunkten – verdeckt die langen Entwicklungen darunter: ein offenbar überfordertes politisches System; eine Aushöhlung der Verbindlichkeiten im Staats-Finanzmarkt­ge­schehen durch die ultralockere Politik der Zentralbanken; eine chronisch steigenden Staatsschuld, die nicht durch simple Kürzungen beseitigt werden kann. In diesem Sinne: es wird eine Lösung geben, aber es wird keine Lösung sein.

Statt immer wieder den jeweils aktuellen Show-Down gebannt zu beobachten, mühsam versuchen, zu verstehen, was da nun wieder passiert, könnten wir die Dramaturgie selbst interpretieren: was heißt es, wenn immer wieder einzelne Ereignisse zu „Schicksalsfragen“ stilisiert, die Welt am Abgrund gesehen wird? Ein System, das chronisch auf Zusammenbrüche zuläuft, das nur noch in einer Abfolge von Krisen existiert, ist wohl ein labiles System. Eine oder zwei Krisen können punktuelle, externe, zufällige Attacken sein, ein Dutzend davon in 3 Jahren sind Symptome. Das Geldsystem ist auch in seiner augenscheinlichsten Ausprägung nur scheinbar einfach; selbst ein einfacher Tauschhandel – ich erhalte Geld für meine Arbeitszeit und kann damit im Supermarkt Lebensmittel kaufen – bedarf einer externen Garantie, eine Stelle, die allen Teilnehmern des Tauschhandels den Tauschwert des Geldes garantiert. Irgendwo in der ganzen Geldkette braucht es über jeden Verdacht erhabene, unzweifelhafte Stellen, die garantieren. Das ist letztlich eine Frage des Vertrauens – wie reglementiert und institutionalisiert auch immer. Dieses Vertrauen ist uns so selbstverständlich, so lange in der Praxis erprobt, dass es uns als offenkundige Wirklichkeit erscheint und dass das Vertrauen nicht schlagartig verschwindet. Aber in den letzten Jahren sind die Vertrauensstellen in der Geldkette nacheinander beschädigt worden: Vor 2008 wäre niemand auf die Idee gekommen, dass eine große österreichische Bank kein Geld mehr auszahlen kann. Nach den Notfinanzierungen von Erste Bank, den (defacto) Konkursen von Constantia, Kommunalkredit, HypoAlpeAdria und zuletzt Volksbank ist alles denkbar geworden. 2008 genügte die Aussage der Regierungen, sie würden die Sparguthaben garantieren, um jede Panik im Keim zu besänftigen. Nach Griechenland, nach Zypern, wie vertrauenerweckend wäre das heute noch? Und die Schuldendecke-Debatte in den USA zerkratzt gerade das Image der sichersten Staatsschulden von allen. Jetzt hängt alles an den Notenbanken: erst die entschlossene Aussage vom Chef der EZB im Sommer 2012 beendete die jahrelange Unsicherheit um EU-Staaten und Euro; in den USA sorgt die ultralockere Geldpolitik vom Chef der amerikanischen Notenbank für Vertrauen.

Was sich in Europa seit 2010 offenbart hat, trifft auch auf die USA zu: die Staaten gelähmt, die Rettung durch die Notenbanken besänftigt und verschiebt die Krisen ohne sie zu lösen. Und dieses Muster – gelähmte Politik, heroische Notenbank – halte ich für eine fatale Aushöhlung des demokratischen Systems. Politik verabschiedet sich zugunsten einer sachzwangargumentierten Systemerhaltung. Was wir seit Jahren erleben, ist ein biblisches Drama um die Rettung der westlichen Gesellschaften aus ihren ungelösten Strukturproblemen durch ominöse, geheimniskrämerische Zentralbanker, die wie Hohepriester den einzigen Zugang zu magischen (Geld)Quellen haben. Diese Geschichte ist eine Heilsfantasie in der Not. Sie läßt uns noch ein wenig länger in der Wirklichkeit träumen, dass sich das alles ausgeht, noch ein wenig länger von einer bequemen Fortsetzung der goldenen Jahrzehnte träumen.

Das vor 5 Jahren so sicher scheinende Geldsystem ist insofern erodiert, als die komplexe Kette von Vertrauens-Garanten erodierte. Nun hängt die ganze Kette an den Notenbanken; das hat etwas Fantastisches – weil Notenbanken Geld weder aus ihrer Wirtschaftsleistung, ihrem Eigenkapital, aus ihren künftigen Einnahmen garantieren, sondern nur aus sich selbst heraus; sie garantieren Geld qua ihrer Macht über das Geld. Diese Macht ist fantastischer als jede andere (weil grenzenlos) und sie ist fantastischer als jede andere, weil im Zweifelsfall durch nichts begründbar. Das heißt, die letzte Bastion der Vertrauenskette in der Geldkette ist mehr als alle anderen von einem unbedingten und fraglosen Vertrauen abhängig.

Diese Geschichte des Vertrauensverlusts und der Verschiebung von Vertrauen ist eine, die man in dem seriellen Drama „Finanzkrise“ erzählen könnte. Ich vermute, in 20 Jahren wird die Serie von Krisen kaum noch jemanden interessieren, eine große Geschichte wie diese wird erzählt werden. In dem zweiten Teil der Geschichte, dem Aufbruch der handelnden Personen aus dem Jammertal, könnten wir dann berichten, wie in den letzten Jahren neue Formen der direkten Unternehmensfinanzierung entstanden, die die bisherige Vermittlung durch Vertrauens-Banken ersetzen; dass hier eine Form des Austausches zwischen InvestorInnen und Unternehmen entsteht, die nicht nur die Mitwirkung und Mitbestimmung von vielen fördert, sondern auch wesentlich effizienter als die alten Finanzmarktinstitutionen ist. Dass „Occupy Wallstreet“ jetzt eine Kreditkartengenossenschaft gründet ist ein Beispiel für eine neuartige Begründung von Vertrauen – die sich auf gemeinsame Werte und ethische Richtlinien gründet. Mikrofinanz- und Crowd-Investing-Plattformen wären weitere Beispiele. Die Vertrauenskette im Geldsystem verschiebt sich; Banken werden unwichtiger.

Es gibt andere erzählbare Geschichten (die Einführung einer Weltwährung, die Streichung von Staatsschulden im internationalen Einvernehmen, die Aufkündigung des Generationenvertrags in den Industriestaaten durch eine Tilgung der Staatschulden aus Privatvermögen, u.v.a.m.);  jede ist plausibel, die sich mit den grundlegenden Veränderungen unserer Gesellschaften befasst und den daraus resultierenden Veränderungen des Finanzsystems; ich möchte dazu anregen, den Blick von den jeweils aktuell hysterisierten Krisen zu den dahinter versteckten Themen zu richten, die Serien-Krise als Symptom des Umbruchs zu interpretieren. Und aus diesem anderen Blick kann dann auch ein Handeln entstehen, etwa betreffend Investitionen, siehe Teil 3.

Teil 3

Ok, aber wie investieren?

Es wird eine Lösung geben, aber es wird keine Lösung sein. Es scheint nicht viel Sinn zu machen, sich auf den „worst case“ einzustellen, weil unklar ist, was passiert. Etwa: üblicherweise sinkt in Krisen die Nachfrage nach Aktien (also der Beteiligung an Unternehmen) und steigt die Nachfrage nach sicheren Staatsanleihen (also den Krediten an Staaten) – wenn aber Staatsanleihen die Krise sind? Müsste dann nicht gerade die Realwirtschaft, wie sie durch Aktien repräsentiert wird, nachgefragt werden? Oder gibt es dann eine erhöhte Nachfrage nach Gold? Was aber, wenn die USA ihre Goldreserven notverkaufen? Oder Bargeld? Aber welche Bank überlebt den Crash? Steigt der Euro oder wird er mitgerissen? Der Schweizer Franken steigt dann sicher – aber was macht die Schweizer Notenbank mit ihrem garantierten Wechselkurs?

Mir scheint es nur eine sinnvolle Haltung zu geben, und zwar sowohl in der Krise als auch nach der Lösung dieses aktuellen Show-Downs: so direkt wie möglich in möglichst einfache wirtschaftliche Produktion zu investieren; soweit als möglich ohne Banken, ohne Staaten, mit einem Minimum an Finanzmarkt. Das heißt, in der Reihenfolge der Einfachheit:

  • direkte Beteiligung an wirtschaftlichen Unternehmungen (ob Wald oder Biotechnologie).
  • Finanzierung von Unternehmen in Form von Aktien oder Anleihen.
  • Beteiligung an Fonds, die in Unternehmen investieren.

Und jedenfalls ist die Welt nicht mehr in sichere und unsichere Blöcke einteilbar; die Unterscheidung zwischen den Hauptmärkten (USA, EU, Japan) und Emerging Markets löst sich in graduelle und variable Abstufungen von relativ sicheren Einzelmärkten auf. Entsprechend breit gestreut sollten Investitionen global sein.

In diesem Sinne wünsche ich einen möglichst langweiligen Oktober!