BasicsFinanztagebuch

Welche Nachhaltigkeit wünsche ich mir?

By 29. Juni 2022 Juli 31st, 2023 No Comments

Anwendungs-Leitfaden für die „Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen“ ab August 2022

In unserer Branche gehört es zum guten Ton, über neue Regulierungen zu stöhnen. Aber vielleicht ist es erwägenswert, es diesmal anders zu machen. Die jetzige Ergänzung zu MiFID II schließt das große Projekt des EU-Aktionsplans ab und bezieht sich auf die ersten beiden Teile. Egal wie ökologisch das eigene Verständnis ist: das verdient Anerkennung. Es ist ein großes, umfassendes und in sich schlüssiges Werk. Es macht mehr Spaß, eine Verpflichtung zu erfüllen, wenn ich das Positive darin sehe.

Das große Werk

  • Der erste Teil des „EU-Aktionsplans für die Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ ist die Taxonomie, die alle Unternehmen verpflichtet, ihre Geschäftstätigkeiten danach einzuteilen, ob sie nachhaltig sind oder nicht;
  • der zweite ist die Offenlegungs-Verordnung, die alle Fondsanbieter verpflichtet, zu erklären, ob und in welchem Ausmaß sie nachhaltig investieren.
  • Und die jetzige Ergänzung von MiFID II schließt den Kreis und verpflichtet die Investor*innen, sich zu erklären, ob und wie sie nachhaltig investieren wollen.

Die logische Schließung liegt darin, dass laut Gesetz die Investor*innen erklären müssen, ob sie Nachhaltigkeit mit dem ersten Teil (Taxonomie), dem zweiten Teil (Offenlegungs-VO) oder mit eigenen Kriterien messen wollen.

Portfolio oder ein Fonds?

Das Gesetz fragt den Kunden, ob und in welchem Ausmaß „ein Finanzinstrument … in seine Anlage einbezogen werden soll“. Ich verstehe das als Frage nach dem Ausmaß im Gesamtportfolio – egal, mit wie vielen Produkten das Ausmaß erreicht wird. Diese Interpretation erlaubt mehr Flexibilität in der aktuellen Einrichtung und der künftigen Umschichtung von Portfolios. Wer die Antwort auf die Frage des Gesetzes lieber mit einem einzelnen Fonds umsetzen will, muss meine folgenden Aussagen jeweils anpassen.

Was sind nun die Optionen:

(infoblock)

 Die Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 wird wie folgt geändert:
1. In Artikel 2 werden die folgenden Nummern 7, 8 und 9 angefügt:

7. ‚Nachhaltigkeitspräferenzen‘ die Entscheidung eines Kunden oder potenziellen Kunden darüber, ob und, wenn ja, inwieweit eines der folgenden Finanzinstrumente in seine Anlage einbezogen werden soll:
a) ein Finanzinstrument, bei dem der Kunde oder potenzielle Kunde bestimmt, dass ein Mindestanteil in ökologisch nachhaltige Investitionen im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates (*) angelegt werden soll;
b) ein Finanzinstrument, bei dem der Kunde oder potenzielle Kunde bestimmt, dass ein Mindestanteil in nachhaltige Investitionen im Sinne von Artikel 2 Nummer 17 der Verordnung (EU) 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates (**) angelegt werden soll; 
c) ein Finanzinstrument, bei dem die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt



Soll die Taxonomie berücksichtigt werden?

Lt der jetzt in MiFID II eingefügten Nummer 7a) kann der Kunde oder die Kundin bestimmen, ob nachhaltig im Sinne der Taxonomie angelegt werden soll. Die Antwort kann nur lauten: Ja, selbstverständlich. Das lässt sich ja gar nicht vermeiden, da alle Unternehmen ihre Tätigkeiten so einteilen müssen:

  • wie hoch sind die Prozentzahlen von „Taxonomie-fähig“ (also Tätigkeiten, die grundsätzlich den von der EU aufgelisteten entsprechen) und
  • von „Taxonomie-konform“ (also Tätigkeiten, die überdies den von der EU aufgestellten technischen Kriterien entsprechen)?

Diese Angaben werden von den Fonds durchgerechnet und stehen somit pro Fonds zur Verfügung und somit können die Zahlen der einzelnen Fonds auf Portfolio-Ebene zusammengezählt werden. Also wie könnten wir und warum sollten wir vermeiden, unseren Kund*innen diese Zahl weiterzuleiten? Die Frage ließe sich sanfter so formulieren: „Wollen Sie eine Information darüber, wie ökologisch nachhaltig die Unternehmen sind, in die Sie investieren?“ Die Antwort darauf wird vermutlich „Nona!“ sein. Es ist schlicht unglaubwürdig, wenn alle Kund*innen, die grundsätzlich nachhaltig investieren wollen, dann angeben, die objektivste und umfassendste Information über die Nachhaltigkeit ihrer Zielunternehmen ignorieren zu wollen.

Die Schwierigkeit liegt woanders, nämlich in dem Ausmaß: es sind nämlich nicht alle Unternehmen, sondern a) nur die in der EU und b) nur die großen. Da weder Staatsanleihen noch Bargeld betroffen sind, wird in einem diversifizierten, weltweiten Portfolio nur ein relativ kleiner Anteil (vielleicht 15%?) überhaupt der Taxonomie unterliegen; ein entsprechend noch kleinerer „Taxonomie-fähig“ und noch weniger „Taxonomie-konform“ sein. Und vor allem sind aber derzeit ja nur für die ersten 2 Ziele überhaupt Tätigkeiten definiert. Ein Portfolio könnte also durchaus nachhaltig ausgerichtet sein, aber durchgerechnet nur im einstelligen Prozentbereich Taxonomie-konform sein.

Daraus folgt, dass es zwar logisch und sinnvoll ist, wenn unsere Kund*innen angeben, Punkt 7 a) zu wählen, das Ausmaß sollte aber realistisch niedrig sein. Angesichts der vielen Veränderungen der nächsten Jahre ist es sinnvoll, einen Prozess der Anpassung dieser Vorgabe zu vereinbaren, etwa eine schrittweise Erhöhung des Ausmaßes.

Eine weitere Einschränkung der Taxonomie ist, dass sie den IST-Zustand misst. Die Unternehmen sind jedoch mit Prozessen und Zielen beschäftigt; in meiner Erfahrung ist es Investor*innen wichtig, welche Anstrengungen ein Unternehmen unternimmt, um klimaneutral zu werden. Der Teil der Taxonomie, der dazu Informationen liefert, ist der CapEx-Anteil, also wie hoch der Anteil der Investitionen sind, die in nachhaltige Prozesse fließen.

Eine Möglichkeit, die künftigen Berichte über die Nachhaltigkeit des Portfolios für alle Beteiligten informativer und nützlicher zu machen, ist es, konkrete Beispiele herauszugreifen. Bereits jetzt wissen wir, wie es mit der Taxonomie-Fähigkeit aussieht, weil die Unternehmen diese für 2021 veröffentlichen mussten. Die österreichische Post hat etwa einen erstaunlich hohen Prozentsatz angegeben: ich bin neugierig, wie sich dieser nächstes Jahr in Taxonomie-Konformität übersetzen wird.

Soll die Offenlegungs-Verordnung berücksichtigt werden?

Lt der jetzt in MiFID II eingefügten Nummer 7b) kann der oder die Kundin angeben, die Offenlegungs-VO berücksichtigen zu wollen. Auch hier gilt: wie könnte das vermieden werden? Da ja alle Fonds sich deklarieren müssen, ist jedenfalls das ganze Portfolio umfasst. Die Verlockung ist hoch, das zur Standard-Antwort werden zu lassen, weil es das einfachste ist: „Art.9“-Fonds sind ökologischer als die anderen, daher gewährleistet ein überdurchschnittlich hoher Anteil von „Art.9“ die Erfüllung des Kriteriums. Das ist trügerisch; die Offenlegungsverordnung verpflichtet Fonds ja nicht, auf bestimmte Weise ökologisch zu investieren, sondern nur dazu, genau zu berichten, wie sie Umwelt- und soziale Faktoren berücksichtigen. Nur weil ein Fonds „Art. 9“ ist, heißt das nicht, dass er jene Kriterien erfüllt, die dem oder der jeweiligen Kund*in wichtig sind. Es ist wohl unvermeidlich, Kund*innen an dieser Stelle zu informieren, welche Nachhaltigkeitskonzepte es gibt.

Das derzeit dominante ist der „Best-in-class“-Ansatz; Ratingagenturen bewerten Unternehmen nach bestimmten und unterschiedlichen Kriterien; das Fondsmanagement wählt in ihr „Universum“ nur jene Unternehmen aus, die die besten „Scores“ in der jeweiligen Branche erzielen. Aber die Kriterien sind sehr unterschiedlich – werden Tonnen CO2 pro Million € Umsatz gemessen oder das Risiko der Anpassung an den Klimawandel? Oder allgemeine ESG-Scores? Sind alle gleichermaßen für die Kund*innen gültig?

Wenn ich meinen Klient*innen die unterschiedlichen Nachhaltigkeits-Ansätze der Fondsindustrie vorstelle, findet der „Best-in-class“-Ansatz immer am wenigsten Anklang. Attraktiver finden sie jenen Ansatz, der vor kurzem noch exklusiv den Namen „Impact Investing“ trug – also jene kleine Gruppe von Fonds, die in Unternehmen investieren, die einen Beitrag zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele leisten. Inzwischen wird der Begriff aber pauschal für alle Art. 9-Fonds verwendet – es scheint mir aber wichtig, den Unterschied wahrzunehmen: zwischen Unternehmen, die aktuell besser als der Durchschnitt sind und Unternehmen, die einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen von Zielen leisten.

Insgesamt bewirken Taxonomie und Offenlegungs-VO eine enorme Aufblähung statistischer Verfahren und eine Delegierung von Investmententscheidungen an Rating-Agenturen. So verlockend Zahlen sind – vergleichbar und objektiv – die Transparenz und Verständlichkeit wird hierbei gerade nicht erhöht. Daher ist es umso wichtiger, die Ansätze der Fondsbranche in einfache Sprache zu übersetzen und die Wünsche der Kund*innen – so vage sie auch sein mögen – ernst zu nehmen und Übersetzungen in Fonds-Ansätzen zu finden.

Sich für die Erfüllung der Nachhaltigkeitskriterien einfach auf einen möglichst hohen Anteil an Art. 9-Fonds zu verlassen, birgt noch ein anderes Problem, und zwar ihre Ähnlichkeit: in den letzten Monaten korrelierten die Aktienfonds dieser Kategorie zu einem hohen Grad mit der Nasdaq – durchlitten also die gleichen Kursrückgänge wie Technologie-Aktien. Art.9-Fonds haben aufgrund ihrer Ausrichtung einen überdurchschnittlich hohen Growth-Anteil und weisen das damit verbundene spezifische Risiko auf. Ein erhöhter Art.9 -Anteil bedeutet eventuell eine geringere Diversifikation und somit ein höheres Klumpenrisiko. Entsprechend ändert sich das Risikoprofil des Portfolios oder die anderen Bausteine des Portfolios müssten so gewählt werden, dass sie das ausgleichen – etwa mehr Value, um das Growth-bias von Art.9-Fonds auszugleichen, mehr Asien, um das Europa- und USA-Übergewicht auszugleichen.

Die andere Möglichkeit ist, auch Art.8-Fonds in die Bewertung aufzunehmen, weil damit besser aufgeteilte Portfolios möglich sind.

Da das die Aussagekraft hinsichtlich Nachhaltigkeit reduziert, kann es sinnvoll sein, zusätzliche Erläuterungen zu notieren:

Die Komplikation liegt darin, dass die aktuell verfolgten Strategien der Fonds hinsichtlich Nachhaltigkeit nicht mit der Logik der Offenlegungs-VO übereinstimmen. Wenn ein bestimmtes Ausmaß an Art. 8 und Art. 9-Fonds festgelegt wird, scheint es mir sinnvoll, in einem nächsten Schritt die Ansätze aufzuzählen, die dabei eingesetzt werden sollen.

Noch wichtiger ist es, zu vereinbaren, wie diese Kriterien im Laufe der nächsten Jahre zu überprüfen und anzupassen sind. In meiner Erfahrung funktionieren Berichte über nachhaltiges Investment mit konkreten Beispielen besser; die Impact-Fonds liefern vorbildlich anschauliche Berichte über ihre Zielunternehmen, mit nachvollziehbaren Begründungen, warum das Fondsmanagement in sie investiert und meist auch welche Themen für Verbesserungen es gibt – also für das „Engagement“ mit den Unternehmen.

Eine offenkundige Einschränkung dieser Option ist, dass davon Einzelaktien nicht umfasst sind; d.h. in Portfolios, die auch Einzeltitel beinhalten, kann diese Option sich nicht auf das gesamte Portfolio beziehen, sondern nur den Fonds-Anteil.

Wie auch bei der Taxonomie ist die Frage also gar nicht, ob die Offenlegungs-VO berücksichtigt werden soll, sondern in welchem Ausmaß. Und auch hier ist der entscheidende Punkt weniger, was heute angegeben wird, sondern wie darüber berichtet und wie es in den nächsten Jahren angepasst wird.

Sollen individuelle „nachteilige“ Wirkungen berücksichtigt werden?

Die dritte Option des Gesetzes, also Punkt 7c, ist aus Kund*innen-Sicht der einfachste, weil keine Kenntnis von Taxonomie und Offenlegungs-VO nötig ist. Aus meiner Sicht ist es jedoch der schwierigste in der Umsetzung. Das Problem ist ja einfach dieses: wenn der Fonds jene Kriterien, die der/die Kund*in angibt, nicht ausweist, kann ich es auch nicht berechnen. Eine Lösung wäre, das, was der oder die Kund*in angibt, in einem folgenden Textfeld zu „übersetzen“ und damit umsetzbar zu machen; wenn eine Kundin etwa vereinfacht sagt: „Ich möchte in nix ganz Böses investieren“ das zu übersetzen mit „Ausschluss von Kinderarbeit, Waffenproduktion, Sklaverei“. Da das gängige Ausschlusskriterien sind, ist es leicht.

Wenn diese Option gewählt wird, sollte jedenfalls vermerkt werden, wie der oder die Berater*in diese Vorgabe umsetzen möchte. Ich bin gespannt, was hier an Kriterien im Laufe der nächsten Monate genannt werden wird.

Mehr Geschichten, weniger Zahlen

Der EU-Aktionsplan bewirkt jedenfalls eine Zunahme von Statistik und Compliance: die Bedeutung von Rating-Agenturen und damit von trügerisch einfachen Zahlen explodiert geradezu; die „Compliance“-Abteilungen und -Beauftragten bestimmen sowohl das Fondsmanagement als auch die Kund*innenberatung. Der Buchstabe des Gesetzes siegt über seinen Geist, Zahlen ersetzen Geschichten. Dieser „Algorithmisierung“ unserer Branche können wir etwas entgegen halten. Für mich besteht die Aufgabe darin, meinen Klient*innen etwas von den vielen engagierten Programmen in Unternehmen zu erzählen und damit auch ihre Beziehung zu ihren Investments zu stärken.

Diese Ziele würde ich für den Umgang definieren:

Einfach: nicht dem Buchstaben des Gesetzes sondern seinem Geist folgen.

Dialogisch: das Gesetz nicht als Pflicht, sondern als Chance zu Aufklärung und Lernen verstehen, als gemeinsamer Prozess mit unseren Kund*innen.

zukunftsorientiert: nicht als einmalige Pflichterfüllung, sondern als Prozess der nächsten Jahre verstehen, bei dem zaghafte erste Schritte mit der weiteren Erfahrung genauer und anspruchsvoller werden können

Conclusio

Ich denke, alle drei Optionen der „Nachhaltigkeitspräferenzen“ können und sollen gewählt werden; alle sind jeweils erklärungsbedürftig, d.h. ich sehe die Lösung in allen Fällen darin, einen Dialog zu führen und zu protokollieren. Die Kriterien der Kund*innen und die Übersetzung der Berater*in sind dann gemeinsam verschriftlicht und vereinbart. Die Vermeidung von Haftung sollte nicht daraus entstehen, die Kund*innen dazu zu bringen, gar nichts zu wollen, sondern die realistischen Übersetzungen ebenso zu protokollieren. Ebenso sollte vereinbart werden, wie die Umsetzung kontrolliert, berichtet und angepasst wird.

Georg Tillner, CFA, Juni 2022