Finanztagebuch

Was bringt „nachhaltiges“ investieren?

By 17. Juli 2023 Juli 31st, 2023 No Comments

November 2022, update Februar, Juli 2023

Zur Zeit wird viel Aufwand betrieben, um die neuen EU-Regulatorien umzusetzen. Es lohnt sich, den Kopf über die technischen Details zu heben und zu fragen: Wozu das alles? Wenn das Ziel ist, die Wirtschaft nachhaltiger zu gestalten, stellt sich heraus: Zahlen sind nicht das Wichtigste – sondern das Reden darüber.

Seit August 2022 ist ein Gesetz in Kraft, dass alle Berater*innen verpflichtet, ihre Kund*innen zu fragen, ob – und wenn ja wie – sie nachhaltig investieren wollen. Das wird in Österreich meist so umgesetzt, dass die Kund*innen gewissenhaft über die Definition von nachhaltigem Investieren aufgeklärt, dann aber aufgefordert werden, sich für eine Bandbreite von „0 bis 100% Nachhaltigkeit“ zu entscheiden. Oder – was dasselbe ist – sich für „nachhaltigkeitsneutral“ zu erklären, oder „auf Nachhaltigkeit zu verzichten“.

Das mag eine Formalität sein, denn schließlich kann auch unter der Kategorisierung „nachhaltigkeitsneutral“ so viel Nachhaltigkeit in ein Portfolio gepackt werden wie gewünscht. Aber die Wirkung dieser „Formalität“ könnte negativer als vermutet sein.

Die Frage ist, worum es bei dem Gesetz eigentlich geht. Die EU-Kommission hat als Ziel angegeben, Finanzströme in nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeiten umzulenken. Es geht also um Veränderung – weder um den Schutz der Investor*innen vor Klimarisiken noch um das Erzielen einer besseren Rendite, sondern um die Förderung nachhaltiger Wirtschaft.

Der Nutzen wird meist so erklärt: Wenn mehr Geld in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten fließt, werden die Finanzierungskosten von nachhaltigen Unternehmen günstiger; damit gewinnen sie einen Wettbewerbsvorteil gegenüber nicht nachhaltigen Unternehmen, letztere würden dann allmählich aus dem Markt gedrängt werden.

Dieses Argument ist plausibel; bei jungen Firmen ist es auch gut nachweisbar: Etwa wenn kleinen, noch Verluste schreibenden Wasserstoff-Firmen durch die großen Alternativ-Energie-Fonds relativ hohe Geldbeträge zufließen. Der „Clean Energy“-ETF des Marktführers verwaltet fast 6 Mrd. USD; 0,3 % davon fließen in eine kleine norwegische Wasserstoff-Firma, das sind beachtliche 18 Millionen Euro – Geld, das ohne diesen Fonds seinen Weg nicht dorthin gefunden hätte.

Aber der „Green Deal“ der EU befasst sich ja nicht nur mit diesem kleinen Segment neuer Technologien, sondern mit der gesamten Wirtschaft. Ist also feststellbar, dass Unternehmen mit besseren ESG (environment, social and governance)-Werten günstigere Finanzierungsbedingungen erzielen?

Tatsächlich belegen Studien einen solchen Vorteil – aber meist ist er gering, und vor allem ist die Streuung sehr hoch; manchmal sind gute ESG-Werte sogar ein Nachteil. Vermutlich liegt das daran, dass unklar ist, was eigentlich gemessen wird. Größere, sehr bekannte Unternehmen haben meist bessere Bonität und somit günstigere Finanzierungsbedingungen – und machen mehr für ihre ESG-Werte. Letzteres ist aber nicht Ursache, sondern Wirkung.

Um diese methodische Unschärfe zu überwinden, konzentrieren sich einige Studien auf einen sehr speziellen Bereich, und zwar Unternehmen, die sowohl normale Anleihen als auch „green bonds“ für ökologische Projekte begeben. Hier müsste der Unterschied doch klar und auf das Ökologische selbst, nicht auf Größe oder Respektabilität des Unternehmens zurückzuführen sein. Der überraschende Befund: Es gibt keinen messbaren Unterschied. Dieses Phänomen nannten zwei Autoren in einem Blog-Beitrag des CFA-Institutes ein „verblüffendes Rätsel“ (CFA blog 2019). Das heißt, das gängigste Argument für nachhaltiges Investieren ist empirisch zweifelhaft.

Ein anderer empirischer Befund ist jedoch eindeutig: Der Einfluss von Investor*innen auf die Nachhaltigkeit von Unternehmen. Studien belegen, dass der Druck von Aktionär*innen der wichtigste Faktor dafür war, dass Unternehmen Nachhaltigkeitsprogramme auflegten. In einer aktuellen Umfrage wurden etwa Geschäftsführungen gefragt, was sie dazu bringen könnte, in Zukunft mehr für Nachhaltigkeit zu tun. Die Antwort „Forderungen von Investoren“ hat mit 38 % die meiste Zustimmung bekommen. Zum Vergleich: Die Antwort „neue Regulatorik“ erhielt nur 30 % Zustimmung. (siehe Deloitte, Global Climate Check 2021).

Diese Befragung wird durch die viel beachteten Erfolge aktivistischer Aktionäre bei Erdölfirmen bestätigt: So hatte es etwa eine kleine Fondsgesellschaft 2021 geschafft, gegen den Willen der Geschäftsführung den Aufsichtsrat von EXXON mit Experten für Alternativ-Energie zu besetzen.

Ein weiteres Indiz für den Einfluss von Investor*innen ist, dass Unternehmen – etwa die Deutsche Telekom – veröffentlichen, welcher Prozentsatz ihrer Aktionär*innen sich als nachhaltig deklariert. Dieses Bewusstsein ist wichtig, weil offenbar die meisten Geschäftsführungen den Anteil ihrer nachhaltig orientierten Aktionär*innen deutlich unterschätzen: Sie vermuten, er läge bei 5 %, tatsächlich sind es aber eher 25 % (Harvard 2019).

Der überraschende Befund aus diesen Daten ist: Für die Veränderung zu mehr Nachhaltigkeit ist Kommunikation das Wichtigste: Dass Menschen nachhaltig investieren, ist ein Anfang; dass die Unternehmen das auch erfahren, aber genauso wichtig. Investieren ist Silber, Reden ist Gold

Es ist also nicht egal, wenn Kund*innen für „nachhaltigkeitsneutral“ erklärt werden; es ist vielmehr kontraproduktiv, weil damit ein öffentliches Druckmittel auf Unternehmen vergeudet wird. Wären die Zahlen seit August so gewesen, wie ich es beobachte, nämlich dass über 75 % der Anleger*innen nachhaltige Präferenzen haben, wäre das ein wichtiges Zeichen gewesen.

Wie können Investor*innen einen Beitrag dazu leisten? Die Bedeutung, die das „engagement“ mit den Unternehmen hat, ist bei Fondsgesellschaften sehr unterschiedlich ausgeprägt:

Die sogenannten „Impact Fonds“ sind aufgrund ihrer Ausrichtung sehr an einem konstruktiven Dialog mit den Unternehmen interessiert und veröffentlichen auch die Diskussionsthemen mit den Unternehmen – also wo das Fondsmanagement Verbesserungspotential im Bereich ESG sieht. Diese laufende Interaktion mit den Unternehmen wird in den ausführlichen Berichten der Fondsmanager dargestellt. Bei allen anderen Formen nachhaltiger Fonds ist das Engagement sehr unterschiedlich ausgeprägt bzw. oft gar nicht vorhanden.

Alle Fonds haben aber das Recht, ihre Anleger*innen in der jährlichen Hauptversammlung zu vertreten. Das tun sie aber ebenfalls in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Einige Fondsgesellschaften haben Richtlinien für die Vertretung der Interessen der Investor*innen gegenüber Unternehmen. Relevanter ist aber, wie die Fondsgesellschaften tatsächlich abstimmen. Die Online-Plattform „shareaction.org“ dokumentiert genau dieses – und: Die Ergebnisse sind interessant, weil manche, die Nachhaltigkeit besonders laut bewerben, unterdurchschnittlich nachhaltig stimmen.

Diese Einsichten haben inzwischen eine nordische Fondsgesellschaft bewogen, einen eigenen Fonds mit dem Konzept „Engagement“ aufzulegen: dieser investiert in Firmen, die bezüglich Klimawerten, also etwa CO2-Ausstoss, besonders hohen Verbesserungsspielraum haben und tritt mit diesen in einen intensiven Austausch, um deren Ökologie-Programme zu intensivieren.

Bevor Investor*innen einen nachhaltigen Fonds wählen, macht es Sinn, nachzufragen, wie das Fondsmanagement mit den Unternehmen in Dialog getreten ist, und wie die Fondsgesellschaft in den Hauptversammlungen gestimmt hat.

Die Frage ist, welche Absicht nachhaltiges Investieren verfolgt. Wenn es darum geht, die Rendite für Investor*nnen zu steigern, sind die üblichen Darstellungen, die Fondsgesellschaften in ihren Präsentation anbieten, angemessen: Also wie diszipliniert und umfangreich sie Unternehmen analysieren und damit besondere Rendite-Chancen für ihre Anleger*innen identifizieren. Wenn aber das Ziel der Investition die Veränderung ist, also die Wirtschaft insgesamt nachhaltiger zu machen, so wie es der EU Green Deal vorgibt, dann sollte ein deutlich höheres Augenmerk auf der Wahrnehmung der Rechte von Aktionär*innen liegen. Also: Tue Gutes, INDEM du darüber redest. Deshalb ist es wichtig, bei der „Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen“ die eigenen Präferenzen tatsächlich dokumentieren zu lassen.

 

Georg Tillner ist selbständiger Vermögensberater in Wien und befasst sich seit 20 Jahren mit ethischen Investments.

Quellen:

CFA blog 2019

https://blogs.cfainstitute.org/investor/2019/10/08/green-bonds-vs-traditional-bonds/

Deloitte Climate Check 2021

https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/global/Documents/Risk/gx-deloitte-global-climate-check-report-march-2021.pdf

über exxon:

https://www.morningstar.co.uk/uk/news/212684/exxon-battle-was-about-more-than-board-seats.aspx

Harvard (2019): what is sustainable investing.

https://hbr.org/2019/05/the-investor-revolution

shareaction

https://shareaction.org/reports/voting-matters-2021-are-asset-managers-using-their-proxy-votes-for-action-on-environmental-and-social-issues

norwegischer Staatsfonds:

https://www.theguardian.com/business/2023/feb/03/worlds-biggest-investment-fund-warns-directors-to-tackle-climate-crisis-or-face-sack