Finanztagebuch

Spionage, wui!

By 13. August 2013 Juli 31st, 2023 No Comments

Auch über den Sommer schwappt die Snowden-Affäre. Der Anlass scheint wenig überraschend – die USA überwachen das Internet? wow! – die Debatte darüber aber unterhaltsam:

– die Europäer beklagen sich und fordern mehr „Respekt“. Ich finde ja eigentlich nur beunruhigend, dass die EU keine eigene Spionage-Organisation hat, nicht einmal eine Abwehr, um die eigenen Institutionen zu schützen. Das freut neben den USA auch China, Russland, Iran, Israel und all die anderen mit mehr oder minder effizienten Spionageeinrichtungen.

– in den USA regt sich natürlich niemand darüber auf, dass die Ausländer ausspioniert werden, sondern darüber, dass auch US-Bürger überwacht werden. Das ist doch schön, dass das erregt; ich frage mich, wer würde sich in Österreich für mich aufregen, wenn einer der heimischen Dienste Telefondaten auf Vorrat speichert?

– erhellend fand ich, dass der Veranstalter der diesjährigen Hacker-Konferenz „Def Con“ die „Feds“, also in dem Fall alle staatlichen Angestellten, aufgefordert hat, fernzubleiben (zdnet, Reuters). Interessant daran ist aber umgekehrt, dass die Feds bislang, entgegen dem Image, explizit eingeladene Gäste waren und der Austausch zwischen Regierungsbehörden und Hackern gefördert und willkommen war. Dieser entspannte Umgang der freien Programmierer passt gut, sind doch schätzungsweise ein Drittel aller Beschäftigten der US-Geheimdienste inzwischen freie Vertragsnehmer (gemessen an der „top secret“-Freigabe); angeblich werden inzwischen 70% des Budgets von geschätzten 70 Mrd US$ für solche „contractors“ (vorwiegend vermutlich Sicherheitsfirmen wie jene von Snowden) ausgegeben. (project syndicate) (Simon Chesterman). Das scheint mir eine neue Dimension, die wirklich gravierende Fragen – Verantwortlichkeit, Missbrauch, Beeinflussung- aufwirft.

– da im Zuge der langen Finanzkrise das Politische völlig entsorgt wurde, stattdessen eine unfassbare Gläubigkeit an die Macht der Zentralbanken auftauchte, ist es erfrischend, etwas so Ursprüngliches wie Spionage (und Bürgerrechte und USA-Russland-Spannungen) serviert zu bekommen. Ein wenig scheint es mir geradezu ein Theater zu sein – der Kalte Krieg noch einmal aufgeführt als kleine Farce, ein fast wehmütiges Gedenken an „den Spion, der aus der Kälte kam“ (bzw. in sie ging); wie weit vergangen die düsteren Ambiguitäten von John le Carré scheinen – stattdessen erleben wir eine „Geheimhaltungsinflation“ durch die 1,3 Millionen Beschäftigten mit „top secret“-Freigabe; eine absurde Verallgemeinerung des Geheimen, die dieses ins Gegenteil umkehrt: das Geheime bedeutet nichts mehr, weil so vieles „geheim“ genannt wird und so viele Zugang dazu haben, dass das wirklich Geheime gefährdet ist – das die eigentliche Pointe an den „leaks“ der letzten Jahre).

– Und was sollte der Verweis auf John le Carré? Mit seinen Spionage-Thrillern löste er die scheinbar klaren Gegensätze des Kalten Krieges in Ambiguitäten auf; die verstörende Suche nach Doppelagenten offenbart die grundsätzliche Ununterscheidbarkeit von Freund und Feind; banaler: das Wesen des Spions – im Gegensatz zum Soldaten – ist seine Unerkennbarkeit, erst im Akt wird er ersichtlich; und das ist nun eben auch das Wesen des Terroristen. So gesehen dekonstruiert die irritierende Fernsehserie „Homeland“ den „war on terror“ wie le Carré den Kalten Krieg. Als Gegenstand unserer kollektiven Fantasie, als mediale Darstellung, als politisches Symbol ähneln Terrorist und Spion und sind ein ähnliches Spiegelspiel: die NSA ist jene Bedrohung, für deren Bekämpfung sie sich hält.