Finanztagebuch

Hydra europäische Finanzkrise

By 3. Juni 2012 Juli 31st, 2023 No Comments

Die mythologische Hydra war eine mehrköpfige Schlange, für jeden abgeschlagenen Kopf wuchsen 2 neue nach.

Seit 2 Jahren hält das griechische Finanzdebakel Europa in Atem; in einer langen Serie wurden „Hilfsaktionen“ zur „endgültigen“ Lösung langwierig errungen, die sich jeweils schnell als Schimäre entpuppten. Zuletzt hat der große Schuldenschnitt nichts bewirkt, nun wird das lange „Undenkbare“ erörtert, der Austritt aus der Währungsunion. Und wieder wird in diesen singulären Schritt alles an „endgültiger“ Lösung hineinfantasiert. Um einen der noch durchdachtesten Aufsätze von, immerhin, Nouriel Roubini, zu zitieren:
„Die Rückkehr zu einer nationalen Währung und eine steile Abwertung würden schnell wieder für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum sorgen.“

Aber warum sollte das so sein? Welche griechische Industrien würden denn international wettbewerbsfähig sein? Die griechische Agrarindustrie mit jener Bulgariens? Vielleicht. Würde nicht der drastische Preisanstieg in praktisch allem Anderen, das von Griechenland importiert werden muss, diesen Effekt mehr als zunichte machen?

Angesichts der zweifelhaften theoretischen Grundlage und damit des ungewissen Ausgangs ein waghalsiges Experiment. Aber wenn die Griechen meinen, sollen sie es probieren. Der Punkt ist nur: warum sollten die europäischen Staaten und Institutionen der EU weiteres Geld in eine weitere Prolongation des griechischen Dramas stecken?

Es wäre hilfreich, wenn die traurige Realität akzeptiert wird, dass das griechische Fiasko sehr komplexe und offenkundig schwer zu ändernde Ursachen hat; ein quasi-feudales politisches System, ein Rechtssystem des 19 Jahrhundert (immer noch gibt es kein flächendeckendes Grundbuch!), eine ineffizient und korrupte Verwaltung, ein entsetzliches Bildungssystem, eine von europäischen Förderungen abhängige Wirtschaft – und inzwischen ein bankrottes Finanzsystem -von all den anderen, je nach politischer Coleur vorgebrachten Einzelschuldigen (Reiche, die keine Steuern zahlen, Frühpensionisten) mal abgesehen. Vor allem aber ist Griechenland eine alternde und schrumpfende Bevölkerung; allein schon aus demografischen Gründen ist es unrealistisch, dass in den nächsten Jahrzehnten die Wirtschaft nennenswert wachsen kann – und damit irgendeine der hoffnungsfrohen Prognosen der Sanierung der Staatsfinanzen eintreffen.
Es ist sinnvoll, aufzuhören, irgendwelche absurden Wirtschaftswachstumsprognosen aufzustellen, mit denen dann alles wieder gut werden würde. Mit oder ohne Euro-Austritt ist die griechische Wirtschaft zum Stagnieren verurteilt; dementsprechend steht dem Land so oder so eine lange Zeit schmerzlicher Schrumpfungsschmerzen bevor.

Einen Aufsatz in „project syndicate“ endet Mohamed A. El-Erian mit dem moralischen Urteil:
„In einer gerechteren Welt könnten sie (die am empfindlichsten betroffenen griechischen BürgerInnen) von den Verantwortlichen (Serie korrupter griechischer Regierungen, leichtfertigen Geldgebern, versagenden europäischen Institutionen und Währungsfond) deren Gehälter, Privilegien und Bonuszahlungen zurückfordern. In der Welt, wie sie ist, können sie uns nur als eindrückliche Lehre für die Zukunft dienen“. (meine Übersetzung)

Ich denke, die Haltung ist korrekt: Entsetzen angesichts des derzeitigen und noch kommenden Elends eines Teils der griechischen Bevölkerung, aber Einsicht in die Unlösbarkeit des Dramas. (Und, hier nur nebenbei, finde ich die jetzt erschallenden Aufrufe zur Solidarität mit Griechenland infam: Solidarität mit dem griechischen Staat, diesem feudalen Netzwerk von Familien? Solidarität mit der griechischen Oberschicht, die ihr Vermögen längst in London, Zürich und Wien geparkt hat? Tatsächlich sind die europäischen DurchschnittsbürgerInnen kaum besser dran als die griechischen und sicher schlechter als die privilegierten Griechen. Von ihnen jetzt Unterstützung für die Gesamtheit der Griechen zu fordern, ist eine grobe Verkennung der Verhältnisse. Wenn die EU die Korruptheit und Fehlfunktion des griechischen Staates anerkennen und Hilfsprogramme direkt an die bedürftigen der griechischen Bevölkerung adressieren würde, wäre das ein entscheidender Schritt der Besserung.)

Es ist klüger, sich auf die Probleme zu konzentrieren, die lösbar sind, als weiter Geld und Energie zu vergeuden mit dem erfolglosen Bekämpfen der immer wieder nachwachsenden Köpfe dieser Hydra.
Was daraus folgt:
1) Wenn Griechenland unrettbar ist, dann wird Europa und der Euro solange in angespannter Unsicherheit bleiben, bis dies anerkannt wird. Jede Hoffnung auf Lösung bleibt vorübergehend.
2) Die eigentlichen Probleme, wie etwa der fehlkonzipierte und fehlregulierte europäische Finanzmarkt, werden solange für Krankheitssymptome an der Peripherie sorgen, bis sie im Kern gelöst werden.