Finanztagebuch

gerechter verteilen

By 17. Jänner 2012 Juli 31st, 2023 No Comments

Verteilungskampf statt Krisenjammer

Auf der Titelseite der letztwöchigen „ZEIT“ wird gefordert: „Gerechter retten!“; im „STANDARD“ von gestern wird ergänzt: „Klüger sparen!“. Das ist schön, klug und gerecht, das ist endlich wieder Politik statt nur Krisenvorsichherschieberei und Elendsverwalterei. Zynisch könnte man sagen: Politik ist genau das, wozu die europäische Politikkaste strukturell nicht mehr fähig ist, erstickt zwischen all den institutionalisierten Partikularinteressensvertretungen (Bauern, Beamte, Pensionisten, Banken und all die anderen). Aber wir hoffen, dass der Druck der Krise nun doch hoch genug wird, um die Destruktivität des Partikularen zu zerstören zugunsten der Klugheit und Gerechtigkeit des Notwendigen – die Not Wendenden.

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Wie Uwe Jean Heuser in dem erwähnten Titelseitenkommentar in der „ZEIT“ prognostiziert, wird die Krise 2012 hart und anders; mit „gerechter!“ wird der Verteilungskampf eingeläutet – und das ist es, worum es in der Krise von Anbeginn an geht! In dem erhellendsten Artikel, den ich bislang zur Krise gelesen habe, interpretiert Wolfgang Streeck die Krise seit 2008 als Wiederkehr eines vermiedenen Verteilungskampfes: in den 80er Jahren begannen die Staaten, vermehrt Schulden zu machen, um die Verlangsamung des Wohlstand-Wachstums auszugleichen, in den 90ern begann das Aufblähen der privaten Schulden zum gleichen Zweck – und als diese Kreditblase platzte, wurden die privaten Schulden wieder verstaatlicht – was aber die Staaten überforderte, weil sie schon am Limit operierten. Und am Limit meint nicht irgendeinen beliebigen Quotienten von Schulden und BIP, sondern die nachhaltige Leistbarkeit und das ist eine Funktion von Wachstum. Und das ist das eigentliche Problem, des Pudels Kern: die Wachstumsaussichten in Europa sind zu matt – aktuell und strukturell langfristig – um die Schulden zu bedienen.
Der Verteilungskampf wird hart, weil es eine Illusion ist, dass es ausreicht, nur dem reichsten Prozent – also jener absurden Minderheit, zu der niemand gehört, der den Mund aufmacht – etwas wegzunehmen, aber selbst das ist politisch schwer genug, insofern hat Heuser mit seiner Forderung nach „Zwangsanleihen“ recht; der Verteilungskampf wird bitter, weil die Zukunft naturgemäß weniger Lobby hat als die Vergangenheit, daher die bestehenden Ansprüche erbitterter verteidigt werden als die notwendigen Zukunftsinvestitionen (das ist jene Dummheit, die als „Tragik der Allmende“ bezeichnet wird: wenn jeder seine partikulären Interessen verfolgt, verhungern am Ende alle) – und das meint Eric Frey mit dem „klüger sparen“ im „STANDARD“.
Der Verteilungskampf wird hart, weil er 4 Jahrzehnte verabsäumten Konflikt nachholen und mit den Schimären von Wohlstand aufräumen muss (deren treueste Anhänger jene Kapitalismuskritiker sind, die behaupten, man müsse nur den Reichen nehmen, um die Schulden der Staaten zu begleichen); ob Wolfgang Streeck recht damit hat, dass Straßenkämpfe und Volksaufstände eine Demokratisierung der Krisenbewältigung bedeuten?

Aber immerhin: im Januar 2012, dem Jahr 4 der Krise, beginnen wir, über Verteilungskampf zu reden.