Finanztagebuch

Europäische Schuldenkrise

By 25. Juli 2011 Juli 31st, 2023 No Comments

– immer noch und schon wieder!

Seit bald 2 Jahren schwelt die griechische Krise; Beobachter halten seit langem einen Konkurs (in welcher verniedlichenden Bezeichnung auch immer) für unvermeidlich und unmittelbar bevorstehend (siehe etwa: „Wird Europa Argentinien“). Die europäische Politik offenbarte eine entsetzliche Handlungsunfähigkeit (Wie Paul Krugman bereits letzten November treffend diagnostizierte: „(…) European policy makers are just completely out of their depth.“. Neuerlich wird im Juli 2011 eine große Lösung gefeiert – die bisherige Erfahrung mit den großen europäischen Lösungen macht es jedoch unwahrscheinlich, dass sie das tatsächlich ist. Aber doch sind 2 Dinge bemerkenswert:
1) Nach langem Dementieren der für Außenstehende offenkundigen Unausweichlichkeit, gibt es nun endlich den (sanften) Konkurs des griechischen Staates. Interessant ist, dass das Konzept des Aufkaufens griechischer Anleihen zu niedrigen Kursen bereits im Winter vom griechischen Finanzminister vorgeschlagen wurde, damals jedoch unterging. Ich meinte damals, dass die Abwicklung über EZB oder EFSF eine elegante Lösung bietet – also genau das jetzt vorgeschlagene (siehe).
2) Erstmals wird auf die Notwendigkeit wirtschaftlicher Stimulierung eingegangen („Marshall-Plan“) und damit die idiotische Behauptung revidiert, mit Sparmassnahmen könnten Schulden beseitigt werden.

Aber immer noch fällt die stets neu verwirbelte Vernebelung der Sprache der europäischen Politiker und Medien auf: Kredite sind „Hilfen“, Zinsen sind Renditen, Konkurse sind Umschuldungen. Daher der Versuch, ein paar Klarheiten zu schaffen:
1) Das griechische Problem – Mario Blejer nennt es „Greece’s majestically unsustainable sovereign-debt mountain“, den “eindrucksvoll unhaltbaren Staatsschuldenberg” – ist nicht – die trivial rechte Position – durch Pensionsmissbrauch und Steuerhinterziehung erklärbar. Letzteres ist nur ein Faktor, ersteres wird durch relativ hohes Pensionsantrittsalter und relativ niedrige Pensionen aufgehoben. Daher sind auch die Kürzungen der Staatsausgaben an sich nicht die Lösung; die Kürzung hat auf die Staatsschulden keinen nennenswert verringernden Einfluss: die Reduktion der Staatsausgaben senkt nämlich auch das BIP (Bruttoinlandsprodukt), also den Nenner der Maßzahl der Schulden: Schulden in absoluten Zahlen dividiert durch BIP, ergibt Schuldenquote in %. Die Verringerung des BIP führt also bei gleich bleibenden absoluten Schulden zu einer Steigerung der Schulden in Prozent des BIP. Eine Senkung der Staatsausgaben ohne gleichzeitige Initiativen zur Erhöhung des BIPs ist sinnlos, bezüglich der Schuldenquote ein Nullsummenspiel. Die eigentliche Frage ist nicht, ob ein Staat mehr ausgibt als er einnimmt, sondern wofür er ausgibt: Konsum oder Investition? Schulden für die Bedienung laufender Konsumausgaben (Pensionen, Gehälter, Subventionen) sind immer problematisch; Schulden für in der Zukunft wirtschaftsfördernde Maßnahmen sind immer nützlich. Und hier muss genau definiert werden: Die von europäischen Fördermaßnahmen so gern gesehenen Infrastrukturprojekte wie Autobahnen sind nur dann sinnvoll, wenn sie eine künftige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöhen. Wenn sie, wie so oft in Griechenland und Portugal, nichts mit nichts verbinden, dienen sie nur ein paar Bauunternehmern und korrupten Verwaltungsebenen, sind also Konsum, idiotisch ungerecht noch dazu.

2) Ein strukturelles Grundproblem ist die mangelnde „Wettbewerbsfähigkeit“ von Ländern wie Griechenland, die diese in einer Währungsunion nicht durch Abwertung der nationalen Währung immer neu anpassen können. Im Falle Griechenlands, das über keine Exportwirtschaft (außer Lebensmittel und Tourismus) verfügt, heißt das jedoch nicht die Erhöhung der Exporte, sondern die Verringerung der Importe. Das eigentliche griechische Drama ist, dass ein Jahrzehnt die Griechen ihre billigen Kredite und steigenden Löhne für den Import von Waren verwendet haben – vereinfacht gesagt: das Geld floss zurück nach Deutschland – und diese dadurch kaum nachhaltige ökonomischen Nutzen im Inland brachten. Die historische Chance billigen Geldes vergeudeten die Griechen, indem sie sie den Deutschen schenkten – die damit letztlich die Kosten der Wiedervereinigung beglichen. Dieses strukturelle Problem der innereuropäischen Handelsbilanz-Ungleichgewichte muss gelöst werden, weil sonst jede Form der Schuldenreduktion verpufft. Das heißt aber auch, dass die EU ihre bisherige Regionalförderung radikal überprüfen und umstellen müsste: wenn die ganzen Autobahnen nichts bringen, sollten endlich andere Dinge gefördert werden. Dass diese Debatte noch nicht einmal begonnen hat, lässt Schlimmes für den jetzt angekündigten „Marshall-Plan“ erwarten.

3) Die trivial linke Position – die in Österreich auch von honorigen Wirtschaftsprofessoren wie Schulmeister vertreten wird – dass die ausländischen Spekulanten schuld an hohen Zinsen seien, die die Schulden für Griechenland erst unleistbar machen, ist schlicht Blödsinn. Erstens haben Spekulanten keinen relevanten Einfluss auf Zinshöhen; zweitens wird „Rendite“ mit „Zinsen“ verwechselt – was bei Anleihen ein verheerender Irrtum ist. Die immer kolportierten 17/18% sind die Rendite – also das, was ein/e InvestorIn dann bekommt, wenn er/sie eine Anleihe jetz zu einem deutlich niedrigeren Kurs kauft, die Anleihe jedoch am Ende der Laufzeit zum ursprünglichen Kurs getilgt wird. (Was also heisst, dass vom Verkäufer ein Kursverlust realisiert wird.) Die Zinsen, die der Staat zahlt, sind jedoch immer noch die Nominalzinsen, die bei Ausgabe der Anleihe vor Jahren vereinbart wurde; im Falle Griechenlands war das im Durchschnitt der 2000er Jahre vermutlich 4 bis 5%. Diese Richtigstellung ist nicht trivial, weil sie die Interpretation umkehrt: das Problem ist nicht, dass Griechenland jetzt zu hohe Zinsen zahlt, sondern dass es so lange so ungerechtfertigt niedrige Zinsen zahlte. Und das ist die eigentlich relevante Frage: wie konnte es dazu kommen, dass ein bekanntermaßen schlecht funktionierender, defizitärer Staat zu Konditionen Geld geborgt bekam, die nur um marginale Prozentpunkte höher als die Deutschlands waren? Und die Antwort darauf ist auch das Gegenteil der „die Spekulanten sind schuld“-Vereinfachung: tatsächlich waren nämlich Aufsichtsbehörden und Gesetzgeber daran schuld: Mit den EU-Verträgen durften Versicherer nicht nur inländische Staatsanleihen halten, sondern genauso aller EU-Staaten. So schichteten österreichische Lebensversicherer eifrig von österreichischen Anleihen in griechische und spanische um, die eben etwas mehr Rendite brachten. Und das taten sie aber auch nicht aus schnöder Profitgier, sondern weil sie verzweifelt versuchten, die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestverzinsungen zu erzielen, die aber im Niedrigzinsumfeld eigentlich nicht mehr erzielbar waren. Und die Banken wurden durch das internationale Regelwerk Basel II angehalten, Geld nicht mehr an Unternehmen, sondern an europäische Staaten zu verleihen – erstere werden durch dieses Regelwerk nämlich als riskant, letztere als völlig unriskant eingestuft. Daraus folgt: um künftige Schuldenkrisen auf der Seite der Finanzmärkte zu verhindern, braucht es nicht neue und mehr Regulierungen für „Spekulanten“, sondern eine Abschaffung und Reform der bestehenden Regulierungen – und das heißt auch jener Aufsichtsbehörden, die bislang bei der Früherkennung jeder Finanzkrise versagten.

Conclusio:
1) Die radikalen Sparmaßnahmen der europäischen Staaten gehen völlig an dem strukturellen Problem vorbei, dass zuviel für Konsum, viel zu wenig für Investition ausgegeben wird; es geht also nicht darum, die Staatsausgaben um 5 oder 10% zu senken, sondern die Struktur der Ausgaben radikal zu verändern: dreimal so viel für Bildung, Forschung, Integration ausgeben, dafür Konsumausgaben (Verwaltung, Militär, Subventionen, Steuerbefreiungen, Pensionen) drastisch senken. Es wäre in der jetzigen Situation für Griechenland klüger, sich deutlich höher zu verschulden, um in Sinnvolles zu investieren, als sinnlos zu sparen – was erfahrungsgemäß gerade jene Bereiche besonders trifft, die zukunftsweisend sind, weil diese die letzten verbliebenen Bereiche der Ermessensausgaben sind. Das heißt aber eben auch, dass die Ausgaben für unproduktiven Konsum noch weit drastischer gesenkt werden müssten.
2) Das griechische Problem ist eine europäische Struktur; eine Änderung der deutschen Lohnpolitik hätte für Griechenland mehr positive Effekte als eine Senkung der Zinshöhe. Die europäische Förderpolitik ist verheerend kontraproduktiv, weil das Falsche gefördert und damit das Richtige verdrängt wird: die gigantischen Agrarförderungen verhindern das Entstehen sinnvoller neuer Produkte und Produktionsweisen; die fehlgeleiteten Infrastrukturprojekte verringern den Innovations-Druck. Statt Autobahnen Alternativenergie, statt Agrar Forschung, Bildung und Integration fördern.
3) Die Achillesferse der europäischen Integration ist die Freizügigkeit von Menschen – sie funktioniert nicht. Dass angesichts der desaströsen Arbeitsmarktbedingungen griechische und spanische Jugendliche nicht massiv auf Länder wie Österreich ausweichen ist ökonomisch unbegreiflich. Die Herstellung jener kultureller, sprachlicher, pragmatischer Bedingungen, die Wanderung erleichtern, müsste oberste Priorität der europäischen Politik sein; die Wanderung würde all die strukturellen Ungleichgewichte ausgleichen. Warum, z.B., gibt es überhaupt noch nationale Arbeitsagenturen? Schaffen wir diese ab und ersetzen sie mit Wanderungsagenturen.
4) Und mit all dem sage ich: es ist nicht ein Problem der Finanzmärkte, schon gar nicht von ominösen „Spekulanten“, es ist auch kein Haushaltsproblem, sondern es sind politische Probleme; es sind nicht Probleme einiger „verantwortungsloser“, „verschwenderischer“ Peripheriestaaten, sondern aller europäischen Staaten und vor allem der EU: falsche Politik hat in die Krise geführt, richtiges politisches Handeln ist nötig.