Finanztagebuch

Januar des Jammers

By 3. März 2016 Juli 31st, 2023 No Comments

Ein Januar des Jammers

Lage:

Das Jahr begann mit exorbitanten Kursverlusten an allen Börsen – und zwar 3 Wochen ohne nennenswerte Erholung (laufendes Jahr=30.12. bis 20.1.):

Dow Jones: -9,5%

Euro Stoxx: -11%

DAX: -12%

FSTE: -9%

Hang Seng: -15%

Shanghai: -16%

Yuan:USD 30.12. bis 21.1.: -1,36%

Yuan:EUR 30.12. bis 21.1.: -2,13%

EUR/USD: 0% (!)

Öl (brent): -25%

Erklärungen:

Kursdebakel in China und Verfall Ölpreis.

Für den Kursrutsch in China werden als Erklärungen angeboten: schlechtes Wirtschaftswachstum (2015 „nur“ 6,9%); Währungs“einbruch“ durch Abzug Carry Trades (aber tatsächlich nur 1,4 %!); Abbau der exorbitanten Schulden, die private, Unternehmen und der Staat seit 2009 aufgehäuft haben.

Als weitere bestimmender Faktor wird der weitere Verfall des Ölpreises genannt: a) Öl als Indikator: ein sinkender Preis wird als Indiz für sinkende Nachfrage, das als Indiz für schwache Wirtschaftsaktivität weltweit verstanden. B) Öl als Ursache: niedriger Ölpreis senkt die Einnahmen der Ölfirmen – das hat Auswirkungen etwa auf große Unternehmen im DowJones (niedrige Gewinne, hohes KGV), vor allem aber auf „Fracking“-Firmen (High Yield Anleihen-Ausfälle).

Zu China:

Diese Grafik veranschaulicht eindrucksvoll, dass mit steigendem pro-Kopf-Einkommen (X-Achse) das Wirtschaftswachstum abnimmt; je weiter rechts auf der X-Achse (höheres Einkommen) desto niedriger auf der Y-Achse (Wachstum). Diese Entwicklung der bereits entwickelten Ökonomien Korea und Japan wird vermutlich auch für China zutreffen.

Das gesunkene Wirtschaftswachstum Chinas entspricht genau den seit Mitte 2015 vorherrschenden Erwartungen und dem viel beschriebenen Übergang zu einer Konsum- und Dienstleistungswirtschaft. Das enthält daher weder Überraschung noch ist es negativ. Es hat nur für bestimmte Branchen Auswirkungen, die chinesische Nachfrage nach Rohstoffen steigt nicht mehr so stark wie früher, d.h. Minenunternehmen und rohstoffexportierende Länder verzeichnen sinkende Einnahmen. Der Rückgang der Währung scheint relativ harmlos; zu beachten ist allerdings, dass die Wirtschaft in Hongkong vermutlich deutlich stärker betroffen ist, weil Hongkong für ausländische Investoren als Tor zu Festland-China genutzt wurde: so driften die Kurse der gleichen Unternehmen an den Börsen Hongkong und Shanghai auseinander. Der chinesische Aktienmarkt ist „infantil“ und wird allgemein als Kasino betrachtet; Kursausschläge dort haben daher einen geringeren Zusammenhang mit realen ökonomischen Vorgängen als anderswo. Als einzig nachhaltig ernst zu nehmendes Thema bleiben die Schulden – wenn diese unkontrolliert abgebaut werden, so können massive Verwerfungen entstehen. Aufgrund der zunehmend engen Verflechtung der asiatischen Ökonomien würde das die ganze Region in Bedrängnis bringen (Ethenea nennt das „Contasian“ – contagion (Ansteckung) und Asian). Bislang, so Experten von Bloomberg, gelingt dieser Abbau aber relativ geordnet. Das Ausmaß der realen Auswirkungen auf amerikanische und europäische Ökonomien ist schwierig einzuschätzen – deutsche Autobauer werden immer wieder als Leidtragende genannt, allerdings ist hier auffallend, dass dies pauschal vermutet wird, ohne dass die genauen Verkaufszahlen beachtet werden. Daher ist das Ausmaß des Einbruches der europäischen Börsen im Vergleich zu den chinesischen wohl übertrieben (DAX -12%, HangSeng -15%).

Erdöl:

Am 20.1. wurde für den neuerlichen Einbruch des DAX der neuerliche Verfall des Ölpreises genannt. Das ist offenkundig absurd, da im DAX kein Ölunternehmen vertreten ist und die deutsche Wirtschaft als Öl-importeur einer der stärksten Profiteure ist. Auffallend auch, dass die englische Börse, in der Öl- und Minenwerte stark vertreten sind, weniger verliert als der Dax!

Quelle: Oil Market Report, 19.1.2016; International Energy Agency; Die Grafik zeigt, dass die Ölnachfrage weiterhin im Trend wächst, aber das Angebot bereits seit 2013 noch stärker wächst.

Bezüglich des Gewichts des Ölpreises als Indikator ist zu hinterfragen, ob tatsächlich die Nachfrage lahmt oder nicht vor allem das Angebot ausgedehnt wurde und wird: Fracking, Wiedereintritt Iran, relativer Frieden in Irak, Libyen..; d.h. ein allgemeiner wirtschaftlicher Rückgang ist nicht abzuleiten. Bezüglich der Wirkung des Ölpreises auf die Wirtschaft ist zu unterscheiden nach Ländern und Firmen: Europa (ohne GB und Norwegen) profitiert, weil es Ölimporteur ist; ölexportierende Länder leiden (wobei etwa für Russland die Einnahmen konstant bleiben, weil der Dollar gegenüber dem Rubel prozentuell stärker zugelegt hat als der Ölpreis gefallen ist!). Komplexer ist die Lage in den USA: sinkende Gewinne der großen Ölfirmen haben einen starken Einfluss auf Kennzahlen und Kurs des Dow Jones; der Einbruch der Fracking-Industrie hat Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt (war einer der Treiber des Anstiegs der Beschäftigungszahlen) und auf den „High Yield“-Anleihen-Markt: die Fracking-Firmen sind stark fremdfinanziert und waren daher einer der größten Emittenten von Hochzinsanleihen. Hier werden die Ausfälle zunehmen und die Angst hiervor führt bereits jetzt zu starken Mittelabflüssen aus dem Segment – was auch die Kurse von nicht betroffenen Unternehmen fallen lässt (Kaufgelegenheit!). Auf der anderen Seite profitieren auch die amerikanischen Konsumenten von niedrigen Benzinpreisen, wovon dann wiederum durch erhöhte Konsumausgaben der Rest der Wirtschaft profitieren sollte.

Fazit:

  1. Der Verfall des Ölpreises führt zu Verschiebungen der Gewinne zwischen Branchen und Ländern, ist aber insgesamt kein negativer Faktor. Für Europa insgesamt positiv.
  2. China ist im Übergang der Wirtschaftsstruktur, nicht schwächelnd. Auch hier handelt es sich eher um eine Verschiebung von Wachstum und Gewinnen denn um ein Schwächeln. Der Aktienmarkt wird wohl weiterhin turbulent sein – in die Region zu investieren ist aber, je tiefer die Kurse fallen, eine immer bessere Idee. Der Schuldenberg bleibt ein ernstes Problem mit der Gefahr einer unkontrollierten Entwicklung – das ist für mich nicht einschätzbar.
  3. Insgesamt scheint die Reaktion an den europäischen Börsen übertrieben, da die tatsächlichen Ereignisse – soweit bislang bekannt – nicht in diesem Ausmaß negativ sind. Daher scheint es aktuell mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Einstiegs- als ein Ausstiegszeitpunkt zu sein.

Wie ein Kommentator fröhlich feststellte: „Bisweilen sind die Märkte einfach verrückt!“