Finanztagebuch

Welcher Ölpreis?

By 9. März 2016 Juli 31st, 2023 No Comments

Überlegungen zu Ölpreis: Ist stagnierende Nachfrage Zeichen wirtschaftlicher Stagnation oder technologischer Änderungen (Elektroautos, effizientere Motoren)? Und welche Auswirkungen hat der niedrige Ölpreis auf die Produzenten?

  1. Faktoren der Nachfrage

Die Börseverlauf der letzten Woche scheint die obige Analyse zu bestätigen, da es zu einer breiten und konstanten Erholung der Börsen kam. Relativ unabhängig davon schwankt der Ölpreis weiterhin stark um die 30 USD/Barrel Brent. Zur Frage, ob es sich um ein Angebotsüberschuss oder Nachfragemangel handelt, folgende Präzisierung: Einigkeit herrscht, hinsichtlich der Ausdehnung des Angebots, insofern ist der Angebotsüberschuss unstrittig. Bei der Nachfrage gibt es unterschiedliche Zahlen – in den USA scheint im vergangenen Jahr jedoch die Nachfrage nicht nur nicht mit dem Angebot gewachsen zu sein, sondern tatsächlich stagniert zu sein – ein Ölexperte sprach von einem Rückgang der Nachfrage um ca. 2%. Relevant ist die Frage: liegt dieser Rückgang an schrumpfender wirtschaftlicher Aktivität, wie die herrschende Lehrbuchmeinung ist, oder an anderen Faktoren. Als Verfechter der Elektromobilität weise ich auf einen auffallenden statistischen Zusammenhang hin: in den USA sind inzwischen 3,4% der zugelassenen PKW elektrisch angetrieben(Quelle: de.statista.com) (3,4% der PKW kann ungefähr 2% des Ölverbrauchs entsprechen); in China waren 2015 von 18,7 Mio verkauften PKW 1,8% voll oder hybrid elektrisch betrieben. Prozentzahlen unter 5% werden gerne als Beleg für die MANGELNDE Marktdurchdringung von Elektro-Autos zitiert – aber für einen Effekt auf den relativ engen Ölmarkt reicht das bereits aus. D.h. bei den Prognosen über den zukünftigen Marktanteil von Elektro-Autos ist zu wenig berücksichtigt worden, dass geringe Änderungen des Anteils am PKW-Markt große Änderungen auf den Ölpreis bewirken können.

Daraus ist zu folgern: a) Sinkende Öl- Nachfrage ist aufgrund technologischer Veränderungen weniger ein Indiz für wirtschaftliche Aktivität als früher; ebenso verweist es auf effizientere Motoren und alternative Antriebe, die gemeinsam mehr Treibstoff einsparen als durch höhere Anzahl mehr nachgefragt wird. B) eine stagnierende oder gar fallende Öl-Nachfrage kann demnach eine langfristige Entwicklung werden; damit im Verhältnis zum aktuellen Angebot ein dauerhafter Angebotsüberschuss, damit ein dauerhafter Druck auf die Preise. D.h. auch wenn sich wieder Optimismus bezüglich des Wachstums der Weltwirtschaft einstellt: dieses wird sich nicht mehr so wie früher in steigenden Ölverbrauch übersetzen. Damit bleibt die künftige Entwicklung des Ölpreises eine Frage des Angebots.

  1. Effekte niedriger Preise

Die negativen Auswirkungen niedriger Ölpreise auf die US-amerikanische Fracking-Industrie sind viel diskutiert worden. Weniger beachtet sind die Auswirkungen auf Saudi-Arabien und andere Golfstaaten; hier wird davon ausgegangen, dass dank niedriger Produktionskosten auch bei dem aktuellen Preis noch profitabel produziert wird. Das stimmt aber nur für die reine Produktion; die Staatsausgaben Saudi-Arabiens benötigen angeblich Preis zwischen 60 und 90USD, d.h. bei dem aktuellen Preis häuft Saudi-Arabien drastische Budgetdefizite an. Das wird durch die spektakuläre Herabstufung der Kreditwürdigkeit der Golfstaaten durch die Ratingagenturen Anfang März bestätigt. Sinkende Einnahmen und Druck auf die Staatshaushalte der Golfstaaten wird wiederum wohl zu einer Änderung der Ausgabepolitik führen; aufgrund der politischen Verfasstheit dieser Länder gehe ich davon aus, dass zuerst ausländische Ausgaben und Investitionen rückgefahren werden, bevor die Subventionierung der eigenen Bürger eingeschränkt wird. So gesehen sind die Streichungen der Libanon-Subventionen durch Saudi-Arabien nicht nur eine politische Bestrafung, sondern auch eine finanzielle Notwendigkeit. Hoffentlich führt dies auch zu weniger Terrorismusfinanzierung. Zu erwarten ist, dass es weniger Investitionen in den USA und Europa aus den Golfstaaten geben wird. Das wiederum kann zu unvermuteten Kurseinbrüchen bei bestimmten Aktien führen. Das heißt, wenn der Ölpreis niedrig bleibt, wird es in den Aktienkursen spürbare Geld-Rückflüsse von europäischen Börsen geben. So wirkt sich der Ölpreis nicht über wirtschaftliche Faktoren oder makro-ökonomische Analysen auf Aktienkurse aus, sondern indirekt über Geldflüsse.

  1. Wechselkurseffekte

Es fällt mir auf, dass bei der Aufzählung von ölproduzierenden Ländern mit drastisch sinkenden Einnahmen beharrlich Russland an vorderer Stelle genannt wird. Jedem interessierten Markteilnehmer ist jedoch aufgefallen, dass der Rubel in den letzten Jahren drastisch an Wert verloren hat, d.h. dass in USD abgerechnete Ölverkäufe in Rubel relativ konstant geblieben sind; da die Produktionskosten der russischen Ölfirmen vorwiegend in Rubel gezahlt werden, heißt das logischerweise, dass weder die Einnahmen der Ölfirmen noch die Steuereinnahmen aus dem Ölexport gesunken sein können. Diese These wird von einer Aufstellung der Unternehmensgewinne in lokaler Währung untermauert:

 

oelfirmen gewinne waehrung

Quelle: http://www.bloomberg.com/news/articles/2016-03-09/russia-s-dilemma-squeeze-oil-industry-without-strangling-growth-ilk2y8i4

Die Einnahmen von Lukoil und Rosneft in Rubel gerechnet sind 2015 sogar deutlich gestiegen – (Lukoil bilanziert in USD, daher verzeichnet das Unternehmen in seiner GuV einen Gewinnrückgang – erst durch die Berücksichtigung des Wechselkurses verkehrt sich das ins Gegenteil). Warum sogar der Bloomberg-Artikel, aus dem ich die Grafik übernommen habe, beharrlich von „fallenden Einnahmen“, „Investitionskürzungen“ und „Einbruch der Steuereinnahmen“ spricht, kann ich nicht erklären.

russland haushalt

Aber es stimmt, dass Russland 2015 ein deutliches, wenn auch nicht dramatisches Haushaltsdefizit in Höhe von 5,7% produziert hat. Wenn aber dafür nicht sinkende Öleinnahmen verantwortlich sind, dann vermutlich die Kosten der Annexion der Krim und der heimliche Krieg in der Ukraine (inklusive der Wirtschaftssanktionen). Wenn das stimmt, wäre auch erklärt, warum die russische Regierung wenig Interesse hat, nicht den Ölpreisverfall für das Defizit verantwortlich zu machen. Warum aber die internationalen Kommentatoren nicht nachrechnen, sondern dieser Darstellung blindlings folgen, ist rätselhaft.

Relevant ist dieses Rechnen, weil es aufzeigt, dass nicht nur die russischen Ölfirmen besser dastehen als gedacht, sondern auch der russische Staat unter dem Ölpreis wenig leidet; daher ist zu befürchten, dass, in dem von George Soros beschworenen „Wettlauf zum Kollaps“ eher die EU als Russland finanziellen Druck verspüren wird.